Das Projekt
- Über Uns
- Definition: Sicherheit
- Definition: Dual-Use
Das Forschungsprojekt
Grundlagen
Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Komplexität der sicherheitspolitischen Lage Nordrhein-Westfalens, Deutschlands und Europas deutlich zugenommen. Mit der anhaltenden Entfaltung dieser neuen Unübersichtlichkeit geht eine steigende Vielfalt an sicherheitspolitischen Herausforderungen einher, was sich neben vielfach beachteten neuen Großmachtrivalitäten insbesondere in grenzüberschreitender (Clan-)Kriminalität, religiösen und politischen Terrorismen, den überaus vielfältigen Folgewirkungen des Klimawandels, Bedrohungen gegen Kritische Infrastrukturen, welche für das Funktionieren einer modernen Industriegesellschaft unerlässlich sind, oder Angriffe im Cyber-Raum äußert.
Um diesen multiplen Herausforderungen zu begegnen, informiert sicherheitspolitische Forschung aus geistes- und technikwissenschaftlicher Perspektive die zur Gefahrenabwehr zuständigen Akteure aus Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden.
Thematischer Schwerpunkt
Als forschungsstarkes Bundesland nimmt Nordrhein-Westfalen auch im Bereich der Sicherheitsforschung eine national wie international sehr starke Stellung mit einer vielfältigen und heterodoxen epistemischen Forschergemeinde ein. Zentrales Anliegen des Projekts Sicherheitsforschung.NRW ist es, diese Vielfalt und Diversität sicherheitspolitischer Forschung in und aus Nordrhein-Westfalen erstmalig über ein deutschland- und europaweit einmaliges Mapping-Projekt zu erfassen und öffentlichkeitswirksam im In- und Ausland verfügbar zu machen.
Das Projekt Sicherheitsforschung.NRW ist folglich ein Pilotprojekt, welches zukünftig über Nordrhein-Westfalen hinaus für ganz Deutschland und Europa Modellcharakter entfalten soll, um zu sicherheitspolitischen Themen arbeitende Forscherinnen und Forscher international sichtbarer zu machen, ihre Expertise somit leichter für weiterführende Bedarfe in Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Behörden verfügbar zu machen sowie sie und ihre jeweiligen Institutionen zu verknüpfen und ihre Forschungsergebnisse stärker in die Öffentlichkeit zu tragen, um gesellschaftliche Diskurse evidenzorientiert mitzuprägen.
Programmziele
Ein elementares Ziel des Projekts ist es daher, einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Internationalisierung der Sicherheitsforschung in Nordrhein-Westfalen zu leisten. Das Projekt Sicherheitsforschung.NRW soll daher auch in ganz besonderer Weise dem weiteren Ausbau der internationalen Zusammenarbeit Nordrhein-Westfalens und seiner Forscherinnen und Forscher dienen.
Anhand dieses Projekts soll sicherheitspolitische Forschung aus geistes- und technikwissenschaftlicher Perspektive die zur Gefahrenabwehr zuständigen Akteure aus Politik, Verwaltung und Sicherheitsbehörden informieren. Zugleich sollen sicherheitspolitischen Diskurse ihrer jeweiligen Disziplinen in die breitere Öffentlichkeit durch Medien und spezifische Veranstaltungsformate getragen werden. Dies soll dabei helfen, das Bewusstsein für das sich veränderte und verändernde sicherheitspolitische Lagebild sowie die damit einhergehenden Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger sowie die staatlichen Stellen zu stärken. Es ist das Ziel, begründete Ansätze für eine Bewältigung dieser neuen wie alten Sicherheitsherausforderungen anzubieten.
Die erste Phase des Projekts soll mit der Veröffentlichung eines Sicherheitsforschungs-Reports NRW“ („Security Research Report NRW“) abgeschlossen werden.
Definition: Sicherheit
Das Feld der Sicherheitsforschung in den internationalen Beziehungen befasst sich mit zwei fundamentalen anthropologischen Fragen: Was schätzen wir wert und wie weit würden wir gehen, um diese wertgeschätzten Objekte zu schützen?
Der Begriff der Sicherheit betrifft nicht nur die physische Unversehrtheit des einzelnen Individuums, sondern hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt. Verschiedene Theorien und Begrifflichkeiten haben sich entwickelt, um die Weite dieses Forschungsfelds zu fassen. Hierbei haben sich vor allem drei Hauptströmungen herauskristallisiert, nämlich die des Realismus, Liberalismus und Konstruktivismus. Diese unterscheiden sich vor allem in der Grundannahme der Sicherheitsproblematik.
Während der Realismus die Probleme als grundsätzlich gelegen in dem Wettbewerb der einzelnen Akteure gegeneinander und die mangelnde „internationale“ Regelsetzung sieht, geht der Liberalismus von einer deutlich verbesserbaren Lage aus, bei der das aktive Engagement Sicherheitsdifferenzen zwischen Staaten überwunden werden können. Der Konstruktivismus hingegen geht grundsätzlich von einer sozialen Problematik aus, aus der Konflikte entstehen, die die Sicherheitslage gefährden würden.
Andere Begrifflichkeiten wie die der Resilienz beschäftigen sich weniger mit präventiven Ideen als mit dem Konzept der Widerstands- und Regenerationsfähigkeit, speziell bezüglich Szenarien, die sich nicht zu 100% präventiv verhindern lassen, weswegen die Anpassungs- bzw. Bewältigungsmechanismen der Gesellschaft hier im Fokus steht.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte und angetrieben durch die Globalisierung hat sich eine neue, unübersichtliche multipolare Welt entwickelt. In Anbetracht neuer Bedrohungen mussten sich somit auch die Sicherheitskonzepte weiterentwickeln, weg vom rein militärischen Denken.
Die neuen Strömungen in der Sicherheitsforschung erkannten schnell, dass die Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs auf andere Bereiche zwingend notwendig war, um auch neue gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen.
Dies kulminiert in Daase’s Theorie des „erweiterten Sicherheitsbegriffs“, die für diese Untersuchung als Leitkonzept dienen soll. Hierdurch wird anhand von vier Dimensionen eine Einordnung von Sicherheitsrisiken möglich. Die Sachdimension deckt hierbei den thematischen Bereich ab, in welchem die Sicherheit betroffen ist, folglich ob es sich um militärische, ökonomische, ökologische und humanitäre Themenbereiche handelt. Die Referenzdimension bestimmt den Empfänger, also die Partei deren Sicherheit gewahrt ist bzw. diese empfängt bzw. bedroht ist. Dies teilt sich generell in nationale, gesellschaftliche und individuelle Sicherheit auf. Die Gefahrendimension wiederum bezieht sich auf die Identifizierung der Art der Bedrohung und von wem diese (potentiell) ausgeht, während die Raumdimension für die geographische Lokalisierung mit besonderer Betonung auf der Notwendigkeit bi- bzw. multilateraler Vorgehensweisen eingeht.
Daase bezieht in seinem Konzept explizit auch die individuelle Ebene, auf die er den Begriff der Sicherheit ausweitet. Demzufolge begreifen wir Sicherheit als ein Gut und Recht, bei dem das Individuum im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Neben einer physischen Unversehrtheit soll der Mensch aber auch eine ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Sicherheit erfahren. Diese Betrachtungsweise wird im Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ zusammengefasst. Hierdurch beansprucht der Sicherheitsbegriff die Universalität der Sicherheit und die Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs auf die globale Bevölkerung. Dies betrifft vor allem internationale Probleme wie Kriminalität, Terrorismus und Klimawandel.
Da eine isolierte Betrachtung eines Individuums aufgrund seiner Interaktion mit weiteren Akteuren nicht möglich ist, betreffen diese Sicherheitsaspekte auch soziale Ordnungssysteme. Diese befinden sich in zunehmenden Interdependenzen mit anderen Ordnungssystemen. Infolgedessen sind Sicherheitsbedrohungen nicht an räumliche Grenzen gebunden, sondern treten in globalen Dimensionen auf. Dies führt in einer so eng vernetzten und verbundenen Welt wie unserer dazu, dass diese Probleme ebenso wie mögliche Lösungsansätze nicht nur lokale Folgen haben, sondern auch diese sich wieder beeinflussen können. Dementsprechend ist eine stärkere internationale Zusammenarbeit von Nöten, was seinen Ausdruck mit der Verabschiedung der Resolution 66/290 der Vereinten Nationen im Jahr 2012 erreichte, die das Verständnis von Menschlicher Sicherheit auf internationaler Ebene als ein neuer sicherheitspolitischer Referenzrahmen anerkannt.
Definition: Dual-Use
Mit dem Begriff „Dual-Use“ werden die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung beschrieben, die auf zweierlei Art eingesetzt werden und mehr als ein Ziel zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllen können. Im heutigen Sprachgebrauch bezieht er sich meist auf die doppelte Verwendung für sowohl zivile als auch militärische, terroristische oder kriminelle Zwecke.
Als „Dual-Use-Güter“ werden zum einen Ergebnisse wissenschaftlicher Entwicklung verstanden, so etwa bestimmte Stoffe oder Technologien, die neben der zivilen auch eine militärische Anwendung finden können, zum anderen aber auch bestimmte Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, also Erkenntnisse oder wissenschaftliche Methoden, sofern diese ebenfalls zur absichtlichen Schädigung von Gesellschaft oder Natur eingesetzt werden können, oder militärischen Nutzen finden.
So führte etwa die Nuklearforschung zur Entdeckung der Urankernspaltung, ein Ergebnis, dass einerseits in der Medizin oder der Energiegewinnung zivile Anwendung fand, andererseits auch zur Entwicklung atomarer Massenvernichtungswaffen führte und somit zu den Dual-Use-Gütern zu zählen ist.
Wissenschaftliches Arbeiten, die möglicherweise Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen, die unmittelbar von Dritten genutzt werden könnten, um der Gesellschaft, dem friedlichen Zusammenleben, der Freiheit, der Gesundheit oder der Umwelt zu schaden, werden in Deutschland unter der von der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina geprägten Bezeichnung „besorgniserregende sicherheitsrelevante Forschung“ zusammengefasst. Die Bezeichnung konnte sich jedoch bisher nicht als offizielle Klassifizierung etablieren, da sie sich bedingt durch die schnellen Entwicklungen in der Wissenschaft und die ständig neu entstehenden Wissenschaftsbereiche, bei denen zunächst oftmals nicht klar ist, ob sie ein Dual-Use Potential beinhalten, auf eine unbestimmte Teilmenge von Forschung bezieht. Eine Klassifizierung individueller wissenschaftlicher Arbeiten würde zudem eine aufwändige Risikoeinschätzung von Fall zu Fall voraussetzen.
Obwohl nahezu alle Forschungsrichtungen anfällig für Dual-Use sind, etwa auch Teilbereiche der Sozialwissenschaften als besorgniserregende sicherheitsrelevante Forschung eingestuft werden können, so könnte etwa soziologische Verhaltensforschung als Basis für neue Rekrutierungsstrategie terroristischer Gruppe fungieren, sind die Lebens- und Biowissenschaften in Bezug auf die Dual-Use Problematik von besonderem Interesse. Vor allem im Bereich der Biotechnologie ist denkbar, dass Ergebnisse nicht nur der menschlichen Gesundheit nützen, sondern ebenso zu ihrem Schaden eingesetzt werden können. Vor dem Hintergrund der Zunahme weltweiter terroristischer Aktivität, wächst zudem die Sorge vor Bioterrorismus durch den Missbrauch erforschter oder neu entwickelter Erreger oder veröffentlichten Forschungsergebnissen.
Während Exportkontrollmaßnahmen als Schlüsselinstrument zur Verhinderung der unerwünschten Verbreitung von materiellen Dual-Use-Gütern dienen, eignen sie sich nicht um die Verbreitung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in Form von Wissen zu verhindern. Ein Veröffentlichungsverbot könnte an dieser Stelle dafür sorgen, dass sensible Inhalte nicht in falsche Hände geraten, an dieser Stelle entsteht jedoch ein Konflikt mit der Wissenschaftsfreiheit. Um sowohl einen Missbrauch zu verhindern als auch wissenschaftliche Freiheiten zu bewahren wird die Anwendung nicht bindender Vorschriften und informeller Maßnahmen, wie etwa einer Selbst-Regulierung der Wissenschaft oder der Etablierung einer Kultur der Verantwortung und guten Forschung, häufig harten gesetzlichen Maßnahmen vorgezogen.
Trotz der erwähnten fehlenden klaren Klassifizierung, welche Teilbereiche wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung nun als Dual-Use Forschung verstanden werden können, besitzt zivile Forschung, die jedoch auch militärischen Nutzen finden, oder anfällig für kriminellen oder terroristischen Missbrauch sein könnte, Relevanz für die Sicherheitsforschung in Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Grund wird das Projekt Sicherheitsforschung.NRW neben rein ziviler Forschung und klar militärischer Forschung auch solche Forschungsprojekte mit einbeziehen, deren Ergebnisse als Dual-Use-Güter zu verstehen sind und als solche kennzeichnen, sofern diese doppelte Verwendungsmöglichkeit ersichtlich oder bekannt ist.